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Diagnostik und Therapie des medikamentös bedingten Haarausfalls

August 22nd, 2014

Lutz Gerhard

Hair & Nail
Bonn

Haarausfall durch Medikamente wird häufig kontrovers diskutiert, außer er ist durch Chemotherapeutika oder Zytostatika verursacht. Aber abgesehen von diesen Substanzen sind mehr als 500 Medikamente bekannt, bei denen ursächlich Haarausfall auftritt bzw. als mögliche Nebenwirkung erwähnt wird. Ähnlich wie in einem Kriminalfall ist es die Aufgabe des Arztes die verursachenden Medikamente herauszufiltern und wenn möglich zu reduzieren oder sogar abzusetzen, sofern dies von medizinischer Seite möglich ist. Wie in jedem Kriminalfall ist jedoch auch hier eine rationale und zielgerichtete Vorgehensweise erforderlich, um einen maximalen Erfolg zu erzielen.

 

Die ersten Schritte in der Diagnostik:

Bevor ein ursächlicher Zusammenhang angenommen wird, ist es zunächst erforderlich  eine umfassende Medikamentenanamnese durchzuführen und dies gilt prinzipiell für jeden Patienten mit Haarausfall. Denn sowohl Patienten mit kreisrundem, anlagenbedingten oder narbigen Haarausfall können auch Medikamente einnehmen, die das Haarwachstum zusätzlich stören können. In vielen Fällen finden sich bereits im Beipackzettel in der Rubrik „Nebenwirkungen“ Hinweise auf einen möglichen Haarausfall als eine unerwünschte Arzneimittelnebenwirkung.

Sofern sich hier keine Hinweise finden, ist jedoch eine derartige Nebenwirkung nicht gänzlich ausgeschlossen, wie Recherchen in medizinischen Datenbanken zu dieser Problematik zeigen. Meist wird diese Nebenwirkung graduiert in häufig, gelegentlich, selten etc. angegeben. Die Dunkelziffer bezüglich dieser Häufigkeiten dürfte jedoch weitaus  höher liegen, denn im Gegensatz zu schweren Arzneimittelnebenwirkungen, wird Haarausfall allgemein als nicht bedrohlich angesehen, sodass sicherlich nicht in jedem Fall eine Meldung an den Hersteller oder das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgt.

 

Mögliche Medikamente

Das Spektrum der Medikamente, bei denen Haarausfall erwähnt wird ist sehr unterschiedlich und umfasst Medikamente für die unterschiedlichsten medizinischen Indikationen. Die klinische Erfahrung und die Häufigkeit der Meldungen lassen jedoch eine Einschätzung hinsichtlich des Potenzials einer relevanten Haarwachstumsstörung zu. Abgesehen von den Chemotherapeutika/Zytostatika können z.B. insbesondere Medikamente die den Blutdruck oder die Blutfette senken aber auch Blutverdünner (Antikoagulantien), Entzündungshemmer (Antiphlogistika), Antiepileptika, diverse Antibiotika, Säureblocker (Antacida), die unterschiedlichste Psychopharmaka sowie die neue Gruppe der Biologika dosisabhängig das Haarwachstum stören. Verstärkt bzw. potenziert wird die Haarwachstumsstörung häufig noch durch das gleichzeitige Einnehmen mehrerer, derartiger Medikamente. Meist ältere Patienten nehmen nicht selten 5 oder 6 Medikamente gleichzeitig ein, bei denen Haarausfall in unterschiedlicher Häufigkeit als mögliche Nebenwirkung beschrieben ist.

 

Klinik des medikamentös bedingten Haarausfalls

Das klinische Bild des medikamentös bedingten Haarausfalls ist normalerweise geprägt von einer diffusen Haarlichtung im Bereich des Haupthaares. Es zeigt sich gleichzeitig sowohl im oberen, als auch im seitlichen und hinteren Kopfbereich eine diffuse Haarlichtung, die durch einen vermehrten Ausfall oder durch ein nicht mehr gänzliches Nachwachsen ausgefallener Haare hervorgerufen wird. Sofern das bzw. die Medikamente nur moderat das Haarwachstum hemmen, ist nur das Kopfhaar betroffen. Dieser Haarausfall zeigt sich zeitverzögert meist 3-4 Monate nach der Einnahme und hält meist ein paar Wochen an. Sofern das bzw. die Medikamente nur kurzfristig verabreicht wurden, wachsen die vermehrt ausfallenden Haare im Verlauf der nächsten 4-6 Monate komplett wieder nach.  Bei den stärker das Haarwachstum hemmenden Medikamenten kann auch die Körperbehaarung betroffen sein und es kann innerhalb von 2-3 Wochen nach Verabreichung zu einem massiven Haarausfall führen, der in einer totalen Alopezie endet. Sofern die Störung des Haarwachstums nur vorübergehend oder in wenigen Zyklen erfolgte, wachsen auch in diesen Fällen im Verlauf der nächsten 6 Monate alle Haare wieder nach. Allerdings gibt es auch Fälle wo die Medikation eine permanente bzw. irreversible Schädigung der Haarfollikel verursachte. Diese Wahrscheinlichkeit trifft insbesondere für die Gruppe der  Chemotherapeutika/Zytostatika zu. Insbesondere bei einer Kombination derartiger Medikamente, wie sie häufig bei der Therapie eines aggressiven Brustkrebses oder im Zusammenhang mit Knochenmarkstransplantationen erforderlich ist, kann es zu einer so starken Schädigung der Haarfollikel kommen, sodass nur noch spärliches Flaumhaar-Wachstum für den Rest des Lebens möglich ist.

 

Evaluierung des Haarausfalls mittels Trichogramm oder digitalem Haarscan:

Da in jedem Fall auch das Kopfhaar betroffen ist, besteht die Möglichkeit die Stärke des Haarausfalls anhand des Haarwurzelstatus, des Trichogramms oder des digitalen Haarscans zu beurteilen. Beim digitalen Haarscan besteht die Möglichkeit  in einem umschriebenen, rasierten Kopfhautareal direkt nach der Rasur die Anzahl und die Durchmesser der vorhandenen Haare zu bestimmen. Bei einem Vergleichsfoto nach 2 Tagen kann zusätzlich die Anzahl der wachsenden, der sogenannten Anagenhaare und die der ausfallenden, der Telogenhaare ermittelt werden. Aus den beiden letzten Parametern lässt sich dann das Verhältnis der wachsenden zu den ausfallenden Haaren, die Anagen/Telogen-Ratio bestimmen. Eine Beurteilung der Haarwurzel ist allerdings mit dieser Methode nicht möglich. Dagegen bietet das konventionelle Trichogramm die Möglichkeit, neben der Anagen- und Telogenrate, auch andere Haarwurzelstörungen zu erfassen, da bei dieser Methode eine schmale Kolonne von Haaren gezogen wird.  Die Untersuchung der Haarwurzel ist aber gerade beim medikamentös bedingten Haarausfall von Vorteil, da hier die direkte Wirkung des Medikamentes auf die Haarwurzel ersichtlich wird. Dadurch lässt sich zusätzlich die Anzahl der mäßig und stark missgestalteten, der dysplastischen bzw. der dystrophischen Haare ermitteln. Sofern das Medikament oder die Noxe nur eine moderate Störung des Haarwachstums verursacht, ist der diffuse Haarausfall durch eine erhöhte Rate von Telogenhaaren gekennzeichnet. Bei einer stärkeren Störung lassen sich dann auch verformte, sogenannte dysplastische Anagenhaare nachweisen. Bei einer periodischen, medikamentösen Störung des Haarwachstums kann man auch wellenförmige Einschnürungen im Wurzelbereich sehen, die manchmal zu einer kompletten Drosselung des Wachstums und zum direkten Haarausfall führen. Im Falle einer starken Störung des Haarwachstums findet man dagegen vermehrt dystrophische Haare, die idealisiert beschrieben wie gespitzte Bleistifte imponieren und für eine permanente, stetig zunehmende  Drosselung stehen, bis das Haarwachstum vollständig „abgeschnürt“ wird.

 

Differentialdiagnostische Überlegungen:

Ein diffuser Haarausfall kann allerdings auch mit anderen Ursachen zusammenhängen. Deshalb ist es erforderlich neben der Medikamentenanamnese auch die diesbezüglichen Störfaktoren auszuschließen. Neben Mangelzuständen an Eisen, Zink, Selen und Biotin können auch eine ganze Reihe endokrinologischer Erkrankungen zu einer allgemeinen Störung des Haarwachstums führen. Beispielhaft seien hier Funktionsstörungen der Schilddrüse, der Nebenschilddrüse oder der Hirnanhangsdrüse genannt.

 

Therapeutische Optionen:

In Abhängigkeit von der Stärke, Dauer und Notwendigkeit der Medikation ergeben sich unterschiedliche Prognosen. Sofern die Medikation nur eine moderate Störung verursacht und nur kurzfristig verabreicht wurde, ist von einer natürlichen, kompletten Regeneration des Haarwachstums innerhalb der nächsten 4-6 Monate auszugehen.  Ist jedoch eine Dauermedikation im Zusammenhang mit einer Erkrankung erforderlich, sollte versucht werden auf ein anderes Präparat zu wechseln, bei dem keine Störung des Haarwachstums als Nebenwirkung bekannt ist. Ist dies nicht möglich kann auch eine Dosisreduktion, sofern vertretbar, schon zu einer Verbesserung des Haarwachstums führen. Generell gilt aber auch hier: „So viel Medikamente wie nötig und so wenig wie möglich“. In manchen Fällen kann auch eine kurmäßige Förderung des allgemeinen Haarwachstums mit haarspezifischen Spurenelementen, Substanzen und Aminosäuren sinnvoll sein, insbesondere wenn das angeschuldigte Medikament nicht abgesetzt oder reduziert werden kann. In ähnlich gelagerten Fällen ist auch mit der äußerlichen Therapie in Form einer 2% Minoxidil-Lösung ein gutes Ergebnis bezüglich einer Förderung des allgemeinen Haarwachstums möglich. Allerdings ist bei einer Dauermedikation auch von einer dauerhaften Anwendung der Minoxidil-Lösung auszugehen. Im Zusammenhang mit einer Chemotherapie kann auch durch eine Unterkühlung der Kopfhaut, beginnend kurz vor bis kurz nach Verabreichung der Medikation, eine deutliche Reduzierung des Haarausfalls erreicht werden, wie eingehende Studien in größerem Umfang belegen.

Das Trichogramm

Juni 8th, 2009

Gerhard A. Lutz, Hair&Nail, Bonn

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Definition

Das Trichogramm ist eine standardisierte Untersuchungsmethode zur lichtmikroskopischen Erfassung und prozentualen Auswertung der Wurzeln epilierter Haare.

Haarzyklusphasen und Haarformen

Beim Menschen verläuft das Haarwachstum asynchron und unabhängig von der Körperregion, zyklisch in verschiedenen Phasen. Im Gegensatz zu verschiedenen Säugetieren fehlt beim Menschen somit eine jahreszeitliche Synchronisierung des Wachstums mit einem allgemeinen Haarwechsel im Sinne eines Winter- oder Sommerfells. Wenn auch die einzelnen Zyklusphasen in Abhängigkeit von der Körperregion unterschiedliche Zeitspannen aufweisen, haben jedoch innerhalb der betreffenden Körperregion alle Haarfollikel gleiche Zeitspannen, wenn auch jeweils zeitlich versetzt. Das heißt, die einzelnen Haarfollikel der betreffenden Körperregion befinden sich in einem von einander unabhängigen Wechsel von Wachstum, Vorruhephase und Ruhephase. Ähnlich wie im normalen Leben wechselt sich die aktive Lebensphase mit Ruhestand und Tod ab. Bezogen auf das Trichogramm bezeichnet man die Zeit der Wachstumsphase als Anagenphase, die Vorruhephase als Katagenphase und die eigentliche Ruhephase als Telogenphase, mit anschließendem Tod und Abstoßung des Haares. Sofern der einzelne Haarfollikel noch weitere Leben besitzt , beginnt dieser Kreislauf erneut, bis alle möglichen Leben durchlaufen sind und der endgültige Tod des Haarfollikels keine weiteren Leben ermöglicht.

Beim Menschen dauert im Durchschnitt die Anagen- oder Wachstumsphase zwei bis sechs Jahre, die Übergangs- oder Katagenphase zwei Wochen und die Ruhe- oder Telogenphase drei bis vier Monate. Diese Zeitangaben beziehen sich nur auf das Kapillitium, aus dem normalerweise die Trichogramme entnommen werden.

Die Beurteilung des Status jedes einzelnen Haares unter dem Lichtmikroskop erlaubt durch die zahlenmäßige Erfassung mit anschließender prozentualer Auswertung einen guten Überblick über die aktuellen Wachstumsverhältnisse. Neben den Anagen-, Katagen-, und Telogenhaaren können beim Trichogramm zusätzlich der Anteil an missgestalteten und abgebrochenen Haaren erfasst und mögliche Anomalien der Haarschäfte beurteilt werden.

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Labordiagnostik im Rahmen der Haarsprechstunde

Juni 6th, 2009

Gerhard A. Lutz, Hair&Nail, Bonn

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Alopecia androgentica des Mannes

Eine spezifische, serologische Labordiagnostik wie bei der Frau, macht bei der Alopecia androgenetica des Mannes keinen Sinn. Dies ist begründet in der Pathogenese der Alopezie, bei der primär eine genetische Disposition und eine erhöhte Empfindlichkeit der einzelnen Haarfollikel gegenüber dem 5 alpha-Dihydrotestosteron (5 alpha-DHT) vorliegt. Die aus der Erfahrung bekannte familiäre Disposition wurde vor kurzem auch durch entsprechende genetische Untersuchungen erstmals wissenschaftlich bestätigt, in dem gezeigt werden konnte, dass die Androgenrezeptorausprägung am Haarfollikel über einen Abschnitt auf dem X-Chromosom mitgesteuert wird. Dies zeigt, dass auch die männlichen Vorfahren mütterlicherseits eine bedeutende Rolle in der Vererblichkeit spielen. Da häufig auch auch nur die väterliche Seite als Merkmalsträger in Frage kommt, ist anzunehmen, dass der X- chromosomale Abschnitt nicht der einzige Abschnitt ist, der die erbliche Veranlagung bedingt. Deshalb sind für die Betroffenen derartige genetische Untersuchungen zur Zeit noch keine Routineuntersuchung und es bleibt somit als wichtigster genetischer Nachweis die Anamnese, die ein Auftreten der androgenetischen Alopezie bei den männlichen, nahen Verwandten beinhaltet. Zu berücksichtigen sind in diesem Fall neben dem Vater, auch die Großväter und Onkels väterlicher- und mütterlicherseits.

Zur Aktivitätsbeurteilung der androgenetischen Alopezie des Mannes sollten jedoch vor jeder Therapie die wachsenden und die ausfallenden Haare prozentual erfasst werden. Die Ermittlung des Anagen/Telogen-Verhältnisses kann zum einen mit Hilfe des bekannten Trichogramms, auch Trichorhizogramm genannt, erfolgen. Zum anderen besteht die Möglichkeit das Verhältnis unter zu Hilfenahme eines digitalen Haar-Scans zu erfassen. Die Vorteile des Trichogramms liegen in der einfachen Durchführbarkeit ohne großen technischen Aufwand. Der Vorteil eines digitalen Haar-Scans besteht darin, dass in dem erfassten Areal neben der Haardichte auch die Durchmesser der Haare bestimmt werden können. Unabhängig von der durchgeführten Untersuchungsmethode ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine Verlaufsbeurteilung des Haarwachstums frühestens in einem halben Jahr erfolgen kann, wobei sicherheitshalber ein Jahr nach Therapiebeginn das Ergebnis mit einer dieser Untersuchungsmethoden erneut zu überprüfen ist.

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Haarausfall bei internistischen Erkrankungen

Juni 6th, 2009

Gerhard A. Lutz, Hair&Nail, Bonn

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Haarausfall ist ein Symptom, das durch eine oder mehrere Ursachen gleichzeitig bedingt sein kann. Diese Tatsache bedingt, dass nach der klinischen Beurteilung des Haarausfallsmusters und des Ausprägungsgrades, in vielen Fällen eine intensive Diagnostik erforderlich ist, um die einzelnen Ursachen herausarbeiten zu können. Neben der Vererblichkeitl, den androgenen Komponenten und den zahlreichen dermatologischen Erkrankungen, in deren Gefolge es ebenfalls zu Haarwachstumsstörungen kommt, sind eine ganze Reihe von internistischen Erkrankungen und zahlreiche Medikamente als verursachende und unterhaltende Faktoren zu berücksichtigen. Obwohl der Haarfollikel als ein eigenständiges Organ unseres Körpers anzusehen ist, so ist er dennoch abhängig von den vorhandenen „Milieufaktoren“ und gerade die hohe Zellteilungsrate im Matrixbereich erweist sich als besonders störanfällig gegenüber Noxen unterschiedlicher Genese. Im übertragenen Sinn und als Metapher betrachtet ist unser Haar vergleichbar einer Pflanze, deren Wachstum sowohl von äußerlichen, als auch bodenständigen Faktoren positiv wie auch negativ beeinflusst werden kann.

In der Literatur existieren eine Reihe von Publikationen, die bei unterschiedlichen internistischen Erkrankungen, sowohl über Auffälligkeiten in der Struktur des Haares, als auch über Haarausfall in unterschiedlichem Ausmaß berichten.

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