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Das Trichogramm

Juni 8th, 2009

Gerhard A. Lutz, Hair&Nail, Bonn

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Definition

Das Trichogramm ist eine standardisierte Untersuchungsmethode zur lichtmikroskopischen Erfassung und prozentualen Auswertung der Wurzeln epilierter Haare.

Haarzyklusphasen und Haarformen

Beim Menschen verläuft das Haarwachstum asynchron und unabhängig von der Körperregion, zyklisch in verschiedenen Phasen. Im Gegensatz zu verschiedenen Säugetieren fehlt beim Menschen somit eine jahreszeitliche Synchronisierung des Wachstums mit einem allgemeinen Haarwechsel im Sinne eines Winter- oder Sommerfells. Wenn auch die einzelnen Zyklusphasen in Abhängigkeit von der Körperregion unterschiedliche Zeitspannen aufweisen, haben jedoch innerhalb der betreffenden Körperregion alle Haarfollikel gleiche Zeitspannen, wenn auch jeweils zeitlich versetzt. Das heißt, die einzelnen Haarfollikel der betreffenden Körperregion befinden sich in einem von einander unabhängigen Wechsel von Wachstum, Vorruhephase und Ruhephase. Ähnlich wie im normalen Leben wechselt sich die aktive Lebensphase mit Ruhestand und Tod ab. Bezogen auf das Trichogramm bezeichnet man die Zeit der Wachstumsphase als Anagenphase, die Vorruhephase als Katagenphase und die eigentliche Ruhephase als Telogenphase, mit anschließendem Tod und Abstoßung des Haares. Sofern der einzelne Haarfollikel noch weitere Leben besitzt , beginnt dieser Kreislauf erneut, bis alle möglichen Leben durchlaufen sind und der endgültige Tod des Haarfollikels keine weiteren Leben ermöglicht.

Beim Menschen dauert im Durchschnitt die Anagen- oder Wachstumsphase zwei bis sechs Jahre, die Übergangs- oder Katagenphase zwei Wochen und die Ruhe- oder Telogenphase drei bis vier Monate. Diese Zeitangaben beziehen sich nur auf das Kapillitium, aus dem normalerweise die Trichogramme entnommen werden.

Die Beurteilung des Status jedes einzelnen Haares unter dem Lichtmikroskop erlaubt durch die zahlenmäßige Erfassung mit anschließender prozentualer Auswertung einen guten Überblick über die aktuellen Wachstumsverhältnisse. Neben den Anagen-, Katagen-, und Telogenhaaren können beim Trichogramm zusätzlich der Anteil an missgestalteten und abgebrochenen Haaren erfasst und mögliche Anomalien der Haarschäfte beurteilt werden.


Physiologische und pathologische Verteilungsmuster

Ein physiologisches Trichogramm aus dem Bereich des Kapillitiums ergibt folgende, differenzierte prozentuale Häufigkeiten: Anagenhaare mit Wurzelscheiden können in bis zu 70% und Anagenhaare ohne Wurzelscheiden in bis zu 20% nachgewiesen werden. Anagenhaare mit vollständig epilierter Papille finden sich nur gelegentlich, wenn die Verhaftung im Matrixbereich so fest ist, dass hier kein Abriss erfolgt. Da in diesen Fällen die gesamte Matrixzone, incl. der Haarpapille, epiliert wird, kann kein erneutes Haarwiederwachstum erfolgen. Erkennbar ist dieser Befund klinisch daran, dass aus dem Follikelkanal ein kleiner Tropfen Blut heraustritt, der von dem entsprechenden, abgerissenen Papillengefäßsystem stammt. In der Katagenphase befinden sich ständig bis zu 3% der Haare, in der Telogenphase sollten sich jedoch maximal 14% befinden. Der prozentuale Anteil an missgestalteten oder sog. dystrophischen Haaren sollte 4% nicht übersteigen, der Anteil an abgebrochenen Haaren nicht die 10% Grenze.

Trichogrammindikationen

Die Indikation ein Trichogramm durchzuführen, ergibt sich einerseits aus den anamnestischen Angaben eines vermehrten Effluviums, sowie aus dem klinischen Befund einer manifesten Alopezie. Auch wenn klinisch noch keine eindeutige Alopezie erkennbar und der Zugtest negativ ist, kann ein vermehrtes Effluvium vorliegen, welches bei Nichtdurchführung eines Trichogrammes unerkannt bleibt. Zum anderen können auch klinisch manifeste Alopezien noch im aktiven Schub sein, mit ebenfalls deutlicher Erhöhung der Telogenrate. Somit ergibt sich als erste Indikation für die Durchführung eines Trichogrammes, die Bestätigung oder der Ausschluss eines Effluviums. Desweiteren kann das Trichogramm eine Diagnosehilfe sein bei unklaren klinischen Befunden, z.B. bei einer Alopecia areata versus einer Trichotillomanie. Mit die wichtigste Indikation zur Durchführung des Trichogrammes ergibt sich aus der Therapiekontrolle und Dosisfindung bei externer oder systemischer Therapie. Sofern ein verstärktes Effluvium vorliegt oder sich die Alopezie in einem aktiven Stadium befindet, kann nach frühestens 3monatiger Therapie das erste Verlaufstrichogramm durchgeführt werden. Selbst wenn bei den meisten Therapeutika zu diesem Zeitpunkt noch nicht das maximale Therapieergebnis erreicht werden kann, läßt sich durch diese frühe Therapiekontrolle tendenziell erkennen, ob der einzelne Patient auf die verordnete Therapie anspricht oder nicht. Die klinische Erfahrung zeigt, dass insbesondere bei erkennbarer Befundbesserung im Trichogramm die Kompliance des Patienten deutlich erhöht wird, die eingeleitete Therapie fortzuführen. Aber auch bei einem Status idem sollte die Therapie mindestens ein halbes Jahr durchgeführt werden, bevor ein endgültiger Abbruch oder Wechsel erfolgt. In der Regel ist allerdings erst nach einjähriger, konsequenter externer oder interner Therapie das maximale Therapieergebnis möglich. Sollte jedoch nach dreimonatiger Therapie eine Befundverschlechterung im Trichogramm erkennbar sein, empfiehlt es sich, die eingeleitete Therapie in jedem Fall zu überdenken und neu zu konzipieren.

Eine weitere Indikation zum Trichogramm ergibt sich vor einer geplanten Haartransplantation bei der androgenetischen Alopezie. Zeigt sich zum Zeitpunkt der Haartransplantation eine Erhöhung der Telogenrate im Empfängerareal, so ist von einem weiteren Ausgehen der Haare um die Transplantate auszugehen. Sollte dies der Fall sein, so ist in jedem Fall mit der Transplantation eine begleitende Therapie erforderlich, damit nach zehn Jahren nicht der sog. „Inseleffekt“ auftritt. In diesem Fall wachsen die Transplantate aufgrund ihrer Donordominanz nahezu unbeinflusst weiter, während die Umgebung zunehmend kahl wird, was Folgetransplantationen nach sich ziehen würde.

Allgemeine Voraussetzungen

In den letzten 8 Wochen vor der Durchführung eines Trichogramms sollten nach Möglichkeit keine haarkosmetischen und haartherapeutischen Maßnahmen, wie z.B. Dauerwellanwendungen, intensive Färbungen oder eine Behandlung mit dem Lockenstab erfolgen. Der Grund dafür ist, dass in diesen Fällen ein vermehrtes Abbrechen der Haare vorkommen kann, was letztlich nicht auf eine schlechte Haarqualität, sondern als Folge der chemischen oder mechanischen Einwirkung anzusehen ist. Desweiteren sollten fünf Tage vor der Epilation die Haare nicht gewaschen werden, da es sonst zu einer artefiziellen Verminderung der Telogenrate und zu einer Verfälschung des tatsächlichen Status kommt. Auch ist es wichtig, dass der Patient sein Einverständnis zu einer angemessenen Epilation gibt, damit ca. 50 Haare epiliert werden können. Werden weniger als 30 Haare epiliert, sind größere prozentuale Schwankungen bei sonst richtiger Auswertung möglich.

Die Epilationsstellen sind durch Konvention in Abhängigkeit vom Haarausfallsmuster festgelegt. Bei der diffusen und androgenetischen Alopezie der Frau wird in der fronto-temporalen Linie, ca. 2 cm hinter und rechts von der Stirnhaargrenze/Mittellinie, epiliert. Zusätzlich erfolgt eine Epilation aus dem okzipitalen Bereich, ca. 2 cm rechts der Protuberantia occipitalis externa in vertikaler oder horizontaler Richtung. Bei Männern mit einer Alopecia androgenetica vom male pattern- oder female pattern-Typ reicht eine Epilation aus dem fronto-temporalen Bereich aus. Bei der Alopecia areata vom patchy-Typ erfolgt die Epilation aus dem Herdrand und vergleichend aus dem gesunden, kontralateralen Bezirk, sofern dies möglich ist.

Epilationsvorgang und Auszählmethode

Zur Epilation werden die Haare an der Epilationsstelle gescheitelt und mit den Händen oder größeren Haarklammern straff fixiert. Danach wird mit dem Stielkamm eine Kolonne von ca. 50 – 100 Haaren abgehoben und darauf geachtet, dass die Kolonne schmal ist, damit das epilierte Areal kosmetisch nicht störend wirkt. Desweiteren sollte darauf geachtet werden, dass grundsätzlich die Epilation nicht im Scheitelbereich sondern auf der kontralateralen Seite erfolgt, damit die Epitaltionsstelle zusätzlich durch das Deckhaar kaschiert wird. Nach Fassen der Kolonne mit der Epilationszange in unmittelbarer Nähe der Kopfhaut wird ruckartig in Richtung des natürlichen Haaraustritts epiliert. Anschließend werden die Haare auf einen Objektträger aufgelegt und mit Tesafilm fixiert. Der überstehende Klebestreifen wird von der Rückseite abgeschnitten, damit kein Überstand bleibt, der gegebenenfalls auf dem Objekttisch haften kann. Zur exakten und leichteren Auswertung erfolgt eine horizontale Linierung des Objektträgers auf der Rückseite in einem Abstand von 2 mm mit einem feinen, wasserfesten Markierungsstift.Vor der Begutachtung der Haarwurzeln im Mikroskop werden auf dem Objektträger 2-3 Tropfen Leitungswasser aufgebracht, so dass die Haare luftblasenfrei eingebettet sind. Nach Abdeckung des Präparates mit einem großen Deckglas erfolgt die Auswertung horizontal, in meanderförmiger Vorgehensweise bei 30facher oder 40facher Vergrößerung. Diese Vergrößerung ist ausreichend, da bei zu kleinem Gesichtsfeld die Auswertung zu langsam verläuft. Lediglich bei Beurteilung der Haarschäfte sind höhere Vergrößerungen notwendig. Diese Methode mit der Klebestreifenfixierung und der Einbettung in Wasser ist einfach und schnell durchführbar. Zudem kann das Präparat bis zur Auswertung problemlos in trockenem Zustand aufbewahrt werden, da ja keine weitere Beeinflußung der Haarwurzeln stattfindet. Zudem kann nach Abziehen des Deckglases und nach Verdunstung des Wassers das Präparat erneut in der beschriebenen Weise begutachtet werden. Die früher praktizierte Auswertung der Haarwurzeln in einer Leukozytenzählkammer ist umständlich. Eine Einbettung in Eukitt oder Corbit-Balsam ist aufwendig. Zudem führt diese Methode häufig zu einer Schrumpfung und artefiziellen Veränderung der Haarwurzeln, so dass die Auswertung für Anfänger erschwert wird.

Zu Fehlern bei der Auswertung kann es kommen, sofern die beschriebenen Vorbedingungen nicht eingehalten, die Epilationstechnik falsch durchgeführt und Fehler bei der Auswertung auftreten, die meist in nicht sachgemäßer Beurteilung der einzelnen Haarwurzelformen begründet sind. Sofern die beschriebenen Vorbedingungen eingehalten werden, stellt das Trichogramm eine einfache und jederzeit praktikable Methode zur Beurteilung des Haarwachstums dar.

Interpretation möglicher Trichogrammergebnisse

Anagenhaare ohne Wurzelscheiden:

Ein vermehrtes Auftreten von Anagenhaaren ohne Wurzelscheiden ist typisch für das „Lose Anagenhaar-Syndrom“, bei dem über 80% der epilierten Anagenhaare keine Wurzelscheiden aufweisen. Aufgrund einer Verhaftungsstörung kann im Akutstadium das Anagenhaar bereits durch leichten Zug epiliert werden, während die Wurzelscheiden in der Kopfhaut verbleiben.

DysplastischeHaare:

Eine Deformierung der Wurzeln von Anagenhaaren bezeichnet man dagegen als dysplastische Anagenhaare, wobei man sich nicht im Klaren ist, ob diese Wurzelverformung durch eine artefizielle, oder eine ursächlich pathologische Haarwachstumsstörung hervorgerufen wird.

Erhöhung der Telogenrate:

Eine Erhöhung des prozentualen Anteils der Telogenhaare spricht für eine moderate Haarwachstumsstörung, erlaubt jedoch keine weitere Spezifizierung hinsichtlich der Ursache. Dies liegt daran, dass Telogenhaare bei einer Reihe von Haarwachstumsstörungen auftreten und nicht pathognomisch für ein einzelnes Krankheitsbild sind. Eine Erhöhung der Telogenrate finden wir z.B. im aktiven Stadium der androgenetischen Alopezie, bei einem Eisenmangel, bei einer Hyperthyreose, beim postpartalen Effluvium oder bei einer Alopecia medicamentosa, um einige Beispiele zu nennen.

Dystrophische Haare: Ein vermehrtes Auftreten von dystrophischen Haaren spricht dagegen für eine starke Haarwachstumsstörung und wird in der Regel nur bei Intoxikationen oder einer starken medikamentösen Haarwachstumsstörung beobachtet. Daneben findet man vermehrt dystrophische Haare im Randbereich einer aktiven Alopecia areata, häufig vergesellschaftet mit einer Erhöhung der Telogenrate.

Abrechnungsziffern beim Trichogramm

Das Trichogramm ist Bestandteil des EBM 2000 plus. Deshalb kann es bei Frauen und Kindern mit Haarausfall nicht als eine individuelle Gesundheitsleistung betrachtet werden. Entsprechend muß die Abrechnung nach der EBM-Ziffer 32170 erfolgen. Bei Männern dagegen wird die androgenetische Alopezie nicht als Krankheit, sondern per bestätigtem Bundessozialgerichtsurteil als eine kosmetische Befindlichkeitsstörung eingestuft. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit und die Pflicht, in diesen Fällen das Trichogramm nach den gültigen GOÄ-Ziffern abzurechnen. Für die Epilation der Haare kann die Ziffer 298 verwendet werden. Für eigentliche Auswertung unter dem Mikroskop die Ziffer 4860. Ferner besteht die Möglichkeit über entsprechende Steigerungsätze den Zeitaufwand in Rechnung zu stellen, der sich bei einer zusätzlichen Beurteilung der Haarschäfte und der Ermittlung der Haardicke und -form ergibt. Da diese Zusatzbestimmungen nicht Bestandteil des EBM sind, können sie gestaffelt analog über die GOÄ-Ziffer 298 bei den gesetzlich versicherten Patienten in Rechnung gestellt werden.

Literatur:

Meiers H G: Die Methode des Trichogramms.
Ärztl Kosmetol 1 (1976) 2-3

Braun-Falco O, Heilgemeier G P: The Trichogram. Structural and Functional Basis, Performance, and Interpretation, in: Seminars in Dermatology, Volume 4, Number 1,
Thieme-Stratton Inc., New York (1985) 40-52

Lutz G A: Das Trichogramm Indikation, Durchführung und Interpretation.
Der Deutsche Dermatologe 4 (2001) 254-261

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