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Haarausfall bei internistischen Erkrankungen

Juni 6th, 2009

Gerhard A. Lutz, Hair&Nail, Bonn

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Haarausfall ist ein Symptom, das durch eine oder mehrere Ursachen gleichzeitig bedingt sein kann. Diese Tatsache bedingt, dass nach der klinischen Beurteilung des Haarausfallsmusters und des Ausprägungsgrades, in vielen Fällen eine intensive Diagnostik erforderlich ist, um die einzelnen Ursachen herausarbeiten zu können. Neben der Vererblichkeitl, den androgenen Komponenten und den zahlreichen dermatologischen Erkrankungen, in deren Gefolge es ebenfalls zu Haarwachstumsstörungen kommt, sind eine ganze Reihe von internistischen Erkrankungen und zahlreiche Medikamente als verursachende und unterhaltende Faktoren zu berücksichtigen. Obwohl der Haarfollikel als ein eigenständiges Organ unseres Körpers anzusehen ist, so ist er dennoch abhängig von den vorhandenen „Milieufaktoren“ und gerade die hohe Zellteilungsrate im Matrixbereich erweist sich als besonders störanfällig gegenüber Noxen unterschiedlicher Genese. Im übertragenen Sinn und als Metapher betrachtet ist unser Haar vergleichbar einer Pflanze, deren Wachstum sowohl von äußerlichen, als auch bodenständigen Faktoren positiv wie auch negativ beeinflusst werden kann.

In der Literatur existieren eine Reihe von Publikationen, die bei unterschiedlichen internistischen Erkrankungen, sowohl über Auffälligkeiten in der Struktur des Haares, als auch über Haarausfall in unterschiedlichem Ausmaß berichten.


Hypophysäre Erkrankungen

In Abhängigkeit von der Störung bzw. dem Ausfall der Hypophyse resultiert ein Defizit bezüglich des Wachstumshormons Somatotropin, auch als „Growth Hormon“ (GH) bezeichnet und den verschiedenen Gonadotropinen wie LH, FSH, TSH und dem Adrenocorticotropen Hormon (ACTH). Als Folge der hypophysären Insuffizienz wurde sowohl eine Rarefizierung der Körper- und Axillarbehaarung, spärliches Bartwachstum sowie eine geringe bis keine Schambehaarung bei Frauen, teilweise auch bei Männern, festgestellt. Bezüglich des Kopfhaares berichtete man über ein dünnes, trockenes und struppiges Haar, bei gleichzeitiger Verminderung der Augenbrauen, besonders im lateralen Bereich. Sofern keine allgemeine Insuffizienz der Hypophyse vorlag, konnte teilweise durch die Verabreichung des Wachstumshormons Somatotropin, bei gleichzeitiger Substitution des fehlenden Hormons, eine Verbesserung der Haarwachstumsstörung erzielt werden.

Schilddrüsenerkrankungen

Vielen ist bekannt, dass bei Störungen der Schilddrüsenhormone es zu Haarausfall kommen kann. Die wenigsten können jedoch detaillierte Angaben über das mögliche Ausmaß des Haarverlustes und der entsprechenden Haarstrukturstörungen geben. Die Bedeutung der Schilddrüsenhormone liegt vor allem darin, dass sie in den Metabolismus zahlreicher Körperzellen direkt oder indirekt involviert sind. Dies betrifft vor allem den wichtigen Protein-, Fett- und Mineralstoffwechsel.

Hypothyreoidismus: Bei einer Unterfunktion der Schilddrüse fand man neben einem brüchigen und stumpfen Kopfhaar eine zunehmende Ausdünnung desselben über den ganzen Kopfbereich. Gleichzeitig konnte eine zunehmende Rarefizierung der lateralen Augenbrauen beobachtet werden. Des Weiteren wurde in Abhängigkeit von einem primären oder sekundären Hypoparathyreoidismus auch eine unterschiedliche Verminderung der Sexual- und Bartbehaarung festgestellt. Insbesondere bei Kindern mit einem spärlichen, trockenen und struppigen Haar muss an eine sekundäre Unterfunktion der Schilddrüse gedacht werden. Im Allgemeinen resultiert die Alopezie bei einer Schilddrüsenunterfunktion aus einem verlangsamten und unzureichendem Haarwiederwachstum.

Vergleichbar mit einer Unterfunktion der Schilddrüse ist auch eine unzureichende Jodverwertung, bzw. ein Jodmangel anzusehen. Als Beleg dafür werden Berichte über einen vermehrten Haarausfall in Jodmangelgebieten sowie das gehäufte Auftreten von Strumen und Jodverwertungsstörungen im Zusammenhang mit der Abklärung eines diffusen Haarausfalls herangezogen.

Hyperthreoidismus: Auch eine Schilddrüsenüberfunktion kann zu massiven Haarwachstumsstörungen führen. Typisch für eine Überfunktion ist ein vermehrter Haarausfall aufgrund einer Verkürzung der Haarzyklen. In Abhängigkeit von der Stärke der Überfunktion können zum Teil hohe Telogenraten beobachtet werden, die gut mit dem klinischen Bild und dem büschelweise Ausfallen von Haaren korrelieren. Die starke Verkürzung des Haarzyklus bedingt auch, dass keine eigentlichen Terminalhaare mehr gebildet werden können, sondern nur noch feine Haare, die zudem brüchig und aufgrund der vermehrten Talgproduktion auch fettig sind. Zusätzlich scheint aufgrund des verkürzten Haarzyklus auch die Zeit für die Pigmentierung zu fehlen, da gleichzeitig über ein beschleunigtes Ergrauen berichtet wird.

Hypoparathyreoidismus: Auch über eine hochgradige, diffuse Alopezie im Bereich des Kapillitiums wird im Zusammenhang mit einer Unterfunktion der Nebenschilddrüsen berichtet. Während die Augenbrauen und Wimpern keine Auffälligkeiten aufwiesen, fanden sich Wachstumsstörungen der Nägel im Sinne von Querfurchen sowie eine insgesamt trockene Haut mit teilweise nummulären, psoriasistypischen Hautveränderungen im Bereich der Intertrigines. Als Folge des gestörten Calciumstoffwechsels können zudem Defekte am Zahnschmelz und ein erhöhter Kariesbefall beobachtet werden.

Labortypische Veränderungen sind ein verminderter bzw. nicht mehr zu messender Calciumgehalt, bei gleichzeitig stark erhöhtem Phosphorgehalt. Das Trichogramm zeigt vorwiegend Telogenhaare mit vermehrter Melaninablagerung im Wurzelbereich.

Von therapeutischer Seite konnte unter einer Behandlung mit Dihydrotachysterol Lösung nicht nur eine Korrektur der pathologischen Laborparameter, sondern auch ein vollständiges Haarwiederwachstum mit Normalisierung der Nagelwachstumsstörung erreicht werden. Insbesondere bei Kindern mit starker, diffuser Alopezie, Nageldystrophien und kariösem Zahnbefall muss an einen idiopatischen Hypoparathyreoidismus gedacht werden. Aber auch beim postoperativen und beim Pseudo-Hypoparathyreoidismus, sowie bei Calciummangelzuständen anderer Genese, wie z.B. Zöliakie oder idiopathischer Steatorrhoe, sind entsprechende Haarwachstumsstörungen denkbar.

Nebennierenerkrankungen

Morbus Addison: Beim Morbus Addison, einer primären, chronischen Nebennierenrinden-Insuffizienz, aber auch bei einer anderweitigen, weitgehenden Zerstörung der Nebennierenrinde, kann es neben den typischen, bronzefarbenen Hyperpigmentierungen der Haut, bei gleichzeitiger Adynämie und Anorexie, zu einer Rarefizierung der Sexualbehaarung kommen. Gleichzeitig wurde korrespondierend zur vermehrten Hautpigmentierung über eine vermehrte Pigmentzunahme des Haupthaars berichtet.

Morbus Cushing: Hyperkortizismus aufgrund einer adrenokortikalen autonomen Steroidsekretion, infolge eines Adenoms oder Karzinoms unter dem Bild des Cushing-Syndroms, kann ebenfalls bei Frauen und Kindern zum Bild einer androgenetischen Alopezie und oder eines Hirsutismus führen. Gleichzeitig wird über ein vermehrtes Haarwachstum im Bereich der Wangen und der Stirn- und Schläfenregion berichtet, die beide Geschlechter betrifft. Nicht selten ist eine Autoimmunadrenalitis auch mit anderen autoimmunologischen Erkrankungen assoziiert, die ebenfalls das Haarwachstum stören können, wie z.B. die Hashimoto- Thyreoiditis oder der Hypoparathyreoidismus.

Adrenogenitales Syndrom: Auch bei den verschiedenen Formen des adrenogenitalen Syndroms (AGS), mit einer Überproduktion an adrenalen Androgenen, kommt es neben einer vorzeitigen, verstärkten Sexualbehaarung vom männlichen Typ bei Mädchen und jungen Frauen, im weiteren Lebensverlauf zu einer unterschiedlich stark ausgeprägten Alopezie. Hinweise für dieses Syndrom liefern auch manchmal Genitalmissmildungen bei Säuglingen. Die weltweit häufigste Form des kongenitalen AGS beruht auf einem Defizit des Enzyms 21-Hydroxylase in der Nebennierenrinde. Zur orientierenden Untersuchung dienen Bestimmungen von Pregnantriol im Harn und von17-Hydroxyprogesteron im Plasma. Typisch für die Hydroxylasedefizite sind deutliche Erhöhungen dieser beiden Präkusoren in der Steroidbiogenese und ein deutlich erhöhtes Testosteron.

Infektionen

In der Literatur existieren zahlreiche Fallberichte, die über Haarausfall im Zusammenhang mit unterschiedlichen infektiösen Erkrankungen berichten. Neben den seit je her bekannten mykotischen Infektionen, können auch bakterielle und virale Infektionen zu Haarwachstumsstörungen führen. Im Gegensatz zum mykotischen Haarausfall, der lokalisiert in den infektiösen Herden auftritt, aber auch zu einem allgemeinen Abbrechen der Haare führen kann, betrifft der durch systemische, bakterielle oder virale Infektionen verursachte Haarausfall das gesamte Haupthaar in diffuser Form. Ohne nähere Angaben von Krankheitserregern konnte bei hochfiebrigen Erkrankungen ein akuter oder verzögert diffuser Haarausfall beobachtet werden, der durch eine vorzeitige Beendigung der Anagenphase mit kurzfristigem Übertritt in die Telogenphase erklärt wird. Daneben exisitieren Fallberichte im Zusammenhang mit bestimmten Infektionskrankheiten wie Scharlach, Typhus, Erysipel oder bakteriellen Pneumonien. In Abhängigkeit von dem Schweregrad der Infektion kann sich dieser Haarausfall in wenigen Wochen oder zwei bis drei Monate nach Krankheitsbeginn manifestieren. Im Normalfall gilt, je schwerer die Infektion desto frühzeitiger und massiver ist der Haarausfall. Bei der Syphilis zeigt sich der Haarausfall erst im sekundären Stadium, d.h. viele Monate nach der Erstinfektion. Während im frühen Sekundärstadium eine diffuse Alopezie typisch ist, zeigt sich im späten Sekundärstadium meist ein kleinfleckiger Haarausfalls, der in Lehrbüchern auch als „mottenfraßförmig“ beschrieben wird. Im Allgemeinen zeigen die postfebrilen oder postinfektiösen Haarausfälle eine gute Spontanheilung innerhalb von drei bis sechs Monaten nach ihrem Erscheinen, so dass hier zunächst eine abwartende, therapeutische Haltung eingenommen wird.

Im Gegensatz dazu kann es auch bei chronisch infektiösen Erkrankungen zu einer Beeinträchtigung des Haarwachstums kommen. Durch welche Mechanismen die Haarwachstumsstörung unterhalten wird ist jedoch nicht klar. Denkbar ist, dass über verschiedene Interleukine das Haarwachstum gestört wird, insbesondere da einige dieser Botenstoffe in der Regulation des Haarwachstums eine bedeutende Rolle spielen.

Konsumierende Erkrankungen und Medikamentennebenwirkung

Im Zusammenhang mit konsumierenden Erkrankungen und des allgemeinen körperlichen Verfalls wird zwangsläufig auch die Energieversorgung im Haarfollikel beeinträchtigt. Je nach der Schwere der Grunderkrankung liegt häufig neben einem Proteinmangel, auch ein Mangel an haarspezifischen, essentiellen Aminosäuren, Spurenelementen und Vitaminen vor. Gleichzeitig kann das Haarwachstum durch zahlreiche Medikamente gestört werden, die direkt oder indirekt in die Zellteilung eingreifen. Jedem bekannt sind die Zytostatika, aber auch nichtsteroidale Antiphlogistika, zahlreiche Psychopharmaka, Betablocker, Lipidsenker oder Interferone können zu einer Beeinträchtigung des Haarwachstums führen. Empfehlenswert ist, zunächst die Medikamentenbeilage auf entsprechende Nebenwirkungen zu überprüfen. Leider führen jedoch nicht alle Firmen einen möglichen Haarausfall als medikamentöse Nebenwirkungen auf, da dieser wahrscheinlich eher als „untergeordnet“ betrachtet wird.

Andere internistische Erkrankungen

Als eine typische, internistische Erkrankung mit diffusen Haarausfall wird u.a.die Colitits ulcerosa genannt, bei der auch rötliche Haarverfärbungen beschrieben sind. Mehrere Publikationen betreffen auch chronische Lebererkrankungen. Neben einem Verlust der Axillar-, Scham- und Brustbehaarung, wird hier über ein Ausdünnen der Kopfbehaarung berichtet. Diese Symptomatik betraf nicht nur Patienten mit einer chronischer Hepatitits, sondern auch Patienten mit einer dekompensierten Leberzirrhose. In Trichogramm spezifischen Untersuchungen konnte in ca. zwei Dritteln der Fälle eine erhöhte Telogenrate und oder eine Erhöhung der dystrophischen Haare festgestellt werden. Während bei den infektiösen Lebererkrankungen wahrscheinlich eine Beeinträchtigung des Haarwachstums über die entsprechenden Entzündungsparameter erfolgt, ist bei den dekompensierten, zirrhotischen Lebererkrankungen ein entsprechender Protein-, Vitamin- und Aminosäuremangel als ursächlich anzusehen.

Auch bei den hepatischen Porphyrien wird ein diffuses Effluvium beschrieben, in Verbindung mit einer vermehrten Hypertrichose im Bereich des Jochbogens und der seitlichen Stirnregion. Untersuchungen an einem größeren Kollektiv von Hämodialysepatienten zeigten in einem erhöhten Prozentsatz einen diffusen Haarausfall, in Verbindung mit trockenem und brüchigem Haar bei gleichzeitiger Hypertrichose im Stamm- und Extremitätenbereich.

Eine diffuse Ausdünnung des Haupthaares wurde auch im Zusammenhang mit Autoimmunerkrankungen, wie der Dermatomyositis, des systemischen Lupus erythematodes, und der progressiven systemischen Sklerodermie gefunden. Auch hier lässt sich korrespondierend eine vermehrte Behaarung im Bereich der Extremitäten bei der progressiven systemischen Sklerodemie feststellen, während bei der Dermatomyositis eine Hypertrichose des Gesichtes und der lateralen Stirn, insbesondere bei Kindern, ein pathognomisches Zeichen ist.

Malnutrition

Ähnlich wie bei den konsumierenden Erkrankungen und den entzündlichen Darmerkrankungen kann es bei allgemeiner Fehlernährung, Crash-Diäten und längeren Fastenkuren zu einer verminderten Resorption von haarspezifischen Aminosäuren, Vitaminen und Spurenelementen kommen. Insbesondere schwefelhaltige Aminosäuren sind hier von Bedeutung, da sie ein wesentlicher Bestandteil des Haares sind.

Während in den Industriestaaten bewusste und unbewusste Fehlernährungen zu Mangelzuständen führen, sind in der Dritten Welt aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der Armut Marasmus und Kwashiorkor häufig. Insbesondere beim Kwashiorkor, einer Protein-Energie-Malnutrition mit ödematösen Schwellungen und typischen Hautveränderungen, wird über einen diffusen Haarausfall, bei gleichzeitigen Diskolorationen des Haares, berichtet. Diese meist bei Kindern in den Subtropen und Tropen zu findende Malnutrition, ist ein typisches Beispiel für eine durch Mangelernährung verursachte Störung der Keratinisierung und Melaninproduktion.

In den Industriestaaten werden mittlerweile Dank einer am Bedarf orientierten, substituierten, parenteralen Ernährung heutzutage keine entsprechenden Vitamin- und Zinkmangelzustände mehr gefunden, die in früheren Jahren insbesondere bei intensiv medizinisch betreuten Patienten zu Haarausfall führten. Bei jungen, anorektisch erscheinenden Frauen und Mädchen mit Haarausfall kommt primär immer eine Anorexia nervosa oder eine Bulimie in Betracht, in deren Gefolge entsprechende Mangelzustände vorprogrammiert sind. Im Trichogramm findet man im frühen Stadium meist eine mit dem Haarausfall einhergehende, erhöhte Telogenrate, während im späteren Stadium es eher zu einer Nachwachstumsstörung bei normalen Telogenraten kommt.

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